Oh, oh. Das ist etwas feines: in der Aula der Max-Taut-Schule in Lichtenberg, einem wunderschönen Gebäude, das erst kürzlich von seiner Kriegszerstörung saniert wurde, lädt der Mahagonny e.V. einmal monatlich zu einem Kultursalon ein.
Am Donnerstag, dem 11. Juni, 19.30 Uhr kommt Thomas Heise und es werden zwei Filme gezeigt.
Der erste Film, der gezeigt wird heißt Barluschke – Psychogramm eines Spions (D 1997, 90 min.) und erzählt davon, wie sich jemand in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verlaufen hat in seiner Sehnsucht danach, etwas Besonderes zu sein und dabei erst ein Handlanger des Staatssicherheitsdienstes der DDR und dann des Bundesnachrichtendienstes der BRD geworden ist. Ein Mann im Auftrag wechselnder Ideologien, deren Ziele er nicht erinnert.
Der zweite Film Das Haus (DDR 1984, 60 min.) zeigt den Verwaltungsalltag der DDR im Bezirksamt Berlin-Mitte: Abteilungen Soziales, Wohnungspolitik und Inneres. Die Aufnahmen aus dem Inneren des Apparates wirken heute ernüchternd und leben doch gleichzeitig von einer Poesie der Hoffnung und Vergeblichkeit. Die Planung ist Gesetz.
20 Uhr: Stau — Jetzt geht’s los, 1992, 82 min.
22 Uhr: Neustadt. Stau — Stand der Dinge, 2000, 90 min. Fällt aus. Stattdessen abschließende Diskussion über die Filmreihe, die in den letzten Wochen im Basso lief.
Dies sind die ersten beiden Filme der Neustadt-Trilogie, über deren dritten Film — Neustadt. Stand der Dinge (2007) — ich hier schon einmal geschrieben habe.
Stau — Jetzt geht’s los
Im Roxy, einem Betonwürfel in Halle-Neustadt, hört man junge Menschen schreien: “Sieg Heil!” und “Jetzt geht’s los!” Der Feind ist klar: Autonome, Ausländer, Zigeuner. Alles andere ist unklar: Alte Werte, Rechte, Pflichten, Vorbilder und Verbote sind umgeworfen und einer
zweifelhaften Freiheit gewichen. Sie trinken an gegen die Ungewißheit, niemand will ein Verlierer sein.
Und was wollen sie? Thomas Heise fragt nach. Ronny hat fünf Geschwister, er versucht den Dialog mit seinen Eltern, aber sie verstehen ihn nicht. Holli erzählt, wie er ein Rechter wurde und wie seine Mutter starb. Matthias ist der Jüngste, sein Traum wäre ein Harem und Konrad bäckt gern Kuchen. Das Klischee stimmt, und es stimmt nicht. Als Einzelpersonen sind sie nicht unsympathisch, in der Gruppe gefährlich.
Neustadt. Stau — Stand der Dinge
Lebensgeschichten aus Neustadt. Leben auf schmalem Grat. Sehnsüchtig nach Liebe. Nie klappt das Leben ganz und ist immer anders als vorgestellt. Wie sieht die Normalität aus und was schlummert unter der Decke, erschöpft von den Konflikten des Alltags?
Eine Beobachtung in Deutschland. Wie entwickelten sich die rechtsorientierten Jugendlichen und heutigen Erwachsenen aus
dem Portrait “Stau- Jetzt geht’s los” aus dem Jahre 1992 in Halle-Neustadt?
Klar, ich kann der NPD vorwerfen, dass sie Kinderfeste in Mecklenburg veranstaltet und die Kinder an sich gewöhnt, nur: Wenn ich selbst keine veranstalte, dann wird sie dieses Terrain besetzen. Wenn in einer Berliner Grundschule wie in Müggelheim damit geworben wird, dass “die Sozialstruktur sehr homogen” ist und nur “wenige Kinder einen ausländischen Pass” haben, kommt man dem Problem näher.
Frank Rieger in der FAZ: Der Mensch wird zum Datensatz. Eine gut geschriebene Zusammenfassung der Entwicklungen und Gefahren der Datensammlung durch Behörden und Wirtschaft.
Frank Rieger in der gedruckten FAZ. Ich lese die ja gefühlt schon immer, aber das fühlt sich irgendwie an.
Lange Jahre nach 1945 haben die neuen, polnischen Einwohner Stettins in Unsicherheit gelebt, ob sie wirklich bleiben können. Es gab Indizien, daß das Territorium westlich der Oder zur Manövriermasse der Sowjetunion bei Verhandlungen mit der Bundesrepublik werden könnte. Die Forderung nach Rückkehr Stettins reichte in Westdeutschland bis in die Reihen derer, die seit den 60er Jahren für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze eintraten. Und auch seitens der DDR hat es nicht an Anläufen gefehlt, die “Friedensgrenze” in ihrem nördlichen Abschnitt zu unterminieren.
Dem Westen passte der Mauerbau gut ins Konzept —Im Schützengraben raucht man nicht: Paul Oestreicher über seine Zeit als BBC-Korrespondent in West-Berlin.
Noch bis morgen (Sonntag) abend kann man in der Arte-Mediathek Thomas Heises diesjährigen Berlinale-Beitrag „Material“ ansehen, seine bemerkenswerte Materialsammlung aus der Wendezeit und danach.
Ein Interview mit Thomas Heise zu seinem Film „Material“, der in diesem Jahr auf der Berlinale lief:
[…]
Mein Eindruck war, und das ist als Erinnerung ganz stark: Wenn es nicht am nächsten Tag diese merkwürdige Meldung gegeben hätte von Schabowski, dann hätte es die nicht mehr gegeben. Die Basis der Partei hätte die Führung verabschiedet. Deswegen mußte die Mauer aufgehen. Das war die einzige Möglichkeit, noch eine Weile an der Macht zu bleiben. Die haben gedacht: Sie gewinnen damit Zeit. Indem sie Dampf aus dem Kessel lassen.
Ein Interview mit dem Regisseur Thomas Heise anläßlich der von ihm kuratierten Foto-Ausstellung „Übergangsgesellschaft. Porträts und Szenen 1980–1990“ in der AdK am Pariser Platz:
Von „friedlicher Revolution“ wird geredet, um über Revolution nicht reden zu müssen. Wir feiern in diesem Jahr zwanzig Jahre Mauerfall. Wir feiern nicht, daß sich im Herbst 1989 ein Volk zum Souverän erklärt hat. Was das Entscheidende war. Wie in der Folge dann auch nicht eine deutsche Wiedervereinigung beschlossen wurde, sondern ein Anschluß an die Bundesrepublik. Da ist etwas faul mit der Erzählung. Das ist so gewollt und hat natürlich einen Grund: Auch die Bundesrepublik konnte sich 1989 eine Bevölkerung, die öffentlich über die gesellschaftlichen Grundlagen nachdenkt und vielleicht eine andere Gesellschaft will, gar nicht leisten.
Die Überschrift klingt ja ganz positiv. Allerdings wird hier unter dem Label des Schutzes Segregation zugunsten des störungsfreien Autoverkehrs betrieben. Denn Gehweg-Radwege sind wesentlich gefährlicher als gar kein Fahrradweg, sie nützen ausschließlich dem schnelleren Vorankommen des Kraftverkehrs. Wenn die Verkehrsverwaltung (wider besseres Wissen) sagt „wer sich im toten Winkel eines Lastwagens bewege, dem helfe auch ein Streifen auf der Straße nicht”, und damit meint, Gehweg-Radwege seien sicherer, bringt sie Verkehrsteilnehmer unnötigerweise in Gefahr.
Ähnlich wie bei der völlig sinnlosen Fahrradstraße in der Linienstraße in Mitte, werden auch hier Verbesserungen für den Autoverkehr aus dem Fahrrad-Haushalt bezahlt.
Vom 5. bis 15. Februar gibt es wieder Filmfestspiele in Berlin. Hinweisen möchte ich zum einen auf die Reihe „Winter adé — Filmische Vorboten der Wende“, in der 15 Filme aus den Ostblockstaaten von 1977 bis 1989 gezeigt werden. „Winter adé“ von Heike Misselwitz — ein guter trauriger Film von 1988 über Mädchen und Frauen in der DDR, der mit einer wunderbaren Klarheit von der verlorenen Zeit berichtet — wird auch gezeigt. Als der Film auf der Berlinale 1989 in West-Berlin lief, konnten die Protagonistinnen nicht dabei sein. Das wird jetzt zwanzig Jahre später nachgeholt. Zur Reihe ein Interview mit dem Kurator Claus Löser.
Außerdem im Forum des Jungen Films: „Material“ — Thomas Heises bisher unveröffentlichtes Filmmaterial aus der Wendezeit und „Die wundersame Welt der Waschkraft“ von Hans-Christian Schmid („23“, „Requiem“) über den Weg der Schmutzwäsche aus Berliner Hotelzimmern in eine polnische Großwäscherei und die Menschen, die damit zu tun haben. (Das mit dem „Jungen Film“ ist aber ein bißchen albern, in der Winter-adé-Reihe läuft auch Heises „Wozu über diese Leute einen Film?“ von 1980. Wann wird der Mann — immerhin einer der bedeutendsten deutschen Dokumentarfilmer — endlich erwachsen? Und Schmid ist auch schon 43.)
Man soll die Jugend nicht vor dem Abend loben: die Jugendjury der Filmschule Leipzig verleiht ihren Preis an „Pizza in Auschwitz“. Der Preis ist grauenhaft selbstgebastelt, wie es sich Max Goldt nicht besser hätte ausdenken können: auf einer Menorah ist eine Pizzaschachtel und Stacheldraht befestigt. Auf der Pizzaschachtel steht Yad Vashem. Daniel Chanoch trägts mit Fassung. Klicken macht groß.
Die Hauptpreisträger stehen hier. Es gab aber noch weitere Preise:
Edda Honigmann bekommt für El Ovido neben den Preisen der ökumenischen Jury und dem der Fédération internationale de la presse cinématographique auch die mit 3000 € dotiert silberne Taube im internationalen Wettbewerb.
Clemens Meyer spricht für die deutsche Jury Dokumentarfilm
Das Herz von Jenin erhält neben dem Preis der DEFA-Stiftung noch eine lobende Erwähnung der Jury des deutschen Wettbewerbs.
Thomas Heise spricht für die internationale Jury Dokumentarfilm
Von der internationalen Jury Dokumentarfilm gab es noch eine lobende Erwähnung für Revolutsioon, mida ei olnud (The Revolution that Wasn’t) (Aljona Polunina, Estland, Finnland 2008, 101 min.), einen radikalen Film über die Bewegung „Anderes Rußland“.
Die internationale Jury Nachwuchs-Dokumentarfilm vergibt eine lobende Erwähnung an Sianoze (Cyanosis) (Rokhsareh Ghaemmaghami, Iran 2007, 32 min.).
Der Preis für den besten deutschen Animationsfilm (3000 €) geht an die Computeranimation Our Wonderful Nature von Tomer Eshed (Deutschland 2008, 5 min.).
Helena Třešiková bedankt sich für den Blumenstrauß und den Preis des MDR
Die internationale Jury Animationsfilm erwähnt lobend die Filme Hezurbeltzak, una fos común (Hezurbeltzak, a Common Grave) (Izibene Oñederra, Spanien 2007, 4:30 min.), eine Zeichenanimation über Personen, die am Rande der Gesellschaft stehen und verschwinden, sowie La queue de la souris (A Mouse’s Tale) (Benjamin Renner, Frankreich 2007, 4:09 min.), eine 2D-Computeranimation über eine Maus, die vom Löwen aufgefressen werden soll, ihm aber einen Handel vorschlägt.
Der Preis der Gewerkschaft Verdi in Höhe von 1500 € geht an Femida (Themis as a Lady of Loose Morals) (Wiktar Daschuk, Weißrußland 2007, 85 min.).
Daschuk, ein Schüler Tarkowskis, der unter ständiger Überwachung arbeiten muß, hat einen Film gedreht über die politischen Verhältnisse und darüber, wie Lukaschenko das Land verraten hat. Seine Dankesrede war recht kurz, er sagte, daß ein Preis für ihn wie ein Orgasmus sei, ein Nebenpreis wie ein männlicher und ein Hauptpreis wie ein multipler weiblicher Orgasmus.
Der Festivalleiter Claas Danielsen zündet die Wunderkerzen auf der Torte an, die er zu seinem fünfjährigen Jubiläum bekommen hat. Links unten: Die Rückseite von Knut Elstermann, der auch die Preisverleihung moderiert hat. Was man nicht sieht: der Konditor hat die Torte falsch beschriftet.
Das Dokumentarfilmfestival in Leipzig findet in diesem Jahr vom 27. Oktober bis zum 2. November statt. Ich kann nur sehr zuraten hinzufahren, voriges Jahr war es wunderschön: eine sehr familiäre Atmosphäre und dichte, aufregende, gründliche Filme, die jeweils in eine ganz eigene Welt entführen.
Außerdem kommt morgen wieder ein Film vom letzten Festival ins Kino: „Kinder wie die Zeit vergeht“ ist der sehr bemerkenswerte letzte Teil von Thomas Heises Halle-Neustadt-Trilogie, die mit „Stau — Jetzt geht’s los“ und „Neustadt“ begann.
Kinder, wie die Zeit vergeht (Thomas Heise, D 2007, 90 min.)
Eine Familie im Plattenbauviertel Leipzig-Grünau. Zu Beginn des Filmes sehen wir eine junge Mutter, die mit 15 schwanger wurde und über ihren ersten Sohn Tommi jetzt sagt: „Schade drum“, während beim Jüngeren noch was zu machen sei. Sie ist Busfahrerin. Später im Film hat sie dann den Mann kennengelernt, mit dem zusammen sie das lang gewünschte Mädchen bekommen hat.
Der Film begleitet vor allem Tommi, am Rande aber die ganze Familie. Und es geht wirklich um Begleitung — im Unterschied zum in letzter Zeit in Mode gekommenen Unterschichtenvoyeurismus, zeichnet dieser Film kein dramatisch schlimmes Bild. Ruhig und geradezu lakonisch schauen wir in Tommis Welt und die seiner Familie. Wir erleben Krisengespräche zwischen Toni und seinem sehr souveränen Lehrer. Wir lernen seinen rechtsradikalen Freund kennen und seinen Bruder, der gut in der Schule ist, aber nicht aufs Gymnasium will („meine Mutter will das auch nicht“).
Thomas Heise ist ein Meister der Einfühlung. Und so wirken seine Reportagen aus den ganz normalen Familien niemals denunzierend. Heise stellt sich deutlich auf die Seite derer, die er beschreibt und kann dadurch viel mehr Details und Zwischentöne beschreiben als es unbeteiligte Beobachter könnten.
Der Film ist schwarz-weiß gedreht, was ihm guttut. Und was die Landschaft in Koepps Holunderblüte, ist die Industrie- und Wohnarchitektur im ehemaligen Chemiedreieck bei Heise: sie wirkt wie ein stummer Kommentar des Filmemachers, der sich sonst ganz zurücknimmt.
Zu eben: im Gespräch hinterher hakelt es zwischen dem Moderator, der ziemlich anbiedernde, aber teils recht ahnungslose Fragen stellt und Heise, der einerseits die Fragen zurechtrückt, andererseits nicht uneitel, aber gut erzählt Schnurren aus der DDR-Dokfilm-Zeit zum Besten gibt. Mir ging es wie den anderen im Publikum, die gern schon viel eher über den doch recht schwierigen Film „Barluschke“ gesprochen hätten. Heises Erklärungen über die extrem krassen Dreharbeiten mit einem Tyrann und Blender als Hauptperson waren zum Verständnis nötig.
Ein typisches Ost-West-Kommunikationsmuster: als der Moderator nach dem Bezirksamt in „Das Haus“ fragte verbesserte Heise ihn ungeduldig: Das hieß damals noch Rat des Stadtbezirks. Genau dieser Satz lag mir in dem Moment auch auf der Zunge, passiert mir auch: sprachlich trotzig reagieren, wenn Westgeborene ihre Vergangenheit für die Norm halten und es war auch in diesem Moment angemessen. Man muß aber aufpassen, daß es nicht zur Marotte wird.
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